Fotos: Thomas Geyer, 2018
Seit fast 20 Jahren reisen wir jedes Jahr nach Tingsryd in Småland, aber erst 2018 haben wir es geschafft eine der größten Attraktionen der Gegend zu besuchen: den Autofriedhof Kyrkömosse in der Nähe von Ryd, Gemeinde Tingsryd. Ein unscheinbares Schild weist den Weg zum Parkplatz, aber der Parkplatz ist in der Hochsaison fast immer voll, sogar bei strömendem Regen.
Man steigt aus, geht einen Waldweg entlang, der von alten Autoreifen gesäumt ist, hinein in ein scheinbar verwunschenes Land. Plötzlich tauchen Autowracks auf, halb verdeckt von Bäumen, eingesunken in den moorigen Boden. Die Scheiben sind meist zertrümmert, die Farbe ist abgeblättert – blau hat sich übrigens am besten gehalten! Immer mehr Wracks tauchen auf, einzeln oder zuhauf, halb ausgeschlachtet, ohne Räder, aber mit meist noch vollständigem Armaturenbrett. Da lässt sich noch ablesen, dass die Autos in den 50er Jahren schon ganz schön flott unterwegs waren.
Infotafeln informieren über Sinn und Zweck des Autofriedhofs, der 2001 nach langen Diskussionen als Natur- und Industriedenkmal genehmigt wurde und bis 2050 Schutz genießt. Alles begann damit, dass „Åke vom Moor“ 1935 dieses moorige Grundstück kaufte und dort in den folgenden Jahren eine Torffabrik erbaute. Geboren wurde er 1914 im nahegelegenen Weiler Tröjemåla und verdiente nach seiner Schulzeit seinen Lebensunterhalt als Knecht. Torf wurde damals vor allem als Dünger genutzt. In seiner Torffabrik trieb er die Maschinen mit alten Automotoren an und baute sich gleich neben seinem Arbeitsplatz eine Kate von 12 qm, die weder Strom noch fließend Wasser hatte, aber seinen Ansprüchen genügte.
In den 50er Jahren entdeckte er seine Vorliebe für alte Autos und damit auch die Chance eines einträglichen Geschäfts: er sammelte Autowracks ein, die auf Waldwegen abgestellt worden waren, weil man sie nicht mehr brauchte oder weil sie einfach kaputt waren, und begann regen Handel mit Ersatzteilen für die verschiedensten Modelle. Damit ist er einer der Pioniere des modernen Recyclings geworden! Bis 1992 verkaufte er die Ersatzteile, ehe er in ein Altersheim im drei Kilometer entfernten Ryd ziehen musste. Seine Hütte und die Autowracks blieben im Wald, lösten aber bald eine heftige Debatte aus, was damit geschehen sollte. Der Beschluss der Kommune regelte die Sache schließlich: Die Natur darf sich ungestört ihr Revier zurückerobern.
Es ist schon ein bisschen gespenstisch, wenn zwischen den Bäumen die Relikte ehemaliger Familienausflüge auftauchen. Mitunter wächst schon ein Bäumchen durch die Windschutzscheibe, Mäuse und Vögel haben Polsterungen für den Nestbau geholt, Sammler vermutlich Lenkräder und Typenschilder ihrer Sammlung einverleibt. Ein Bus, ein Lieferwagen, ein Traktor, ein Fahrrad, dann entdeckt man einen VW Käfer, eine Ente, einen Ford Taunus. Den Besucher packt die schiere Lust am Entdecken!
Im August 2018 war es knochentrocken, im Oktober dagegen schon recht feucht, so dass es gut war, beim Ausflug ein Paar Ersatzsocken dabei zu haben. Man muss kein Autoliebhaber sein, um die skurrile Schönheit des Kyrkömosse-Autofriedhofs genießen zu können. Er ist auf jeden Fall einen Besuch wert!
Text: Gertraud Geyer, 2018